Der Tod
Zuerst die Farben … dann die Menschen. So sehe ich die Welt normalerweise. Ich versuche es zumindest. Eine kurze Bemerkung am Rande: Ihr werdet sterben! Ich bin nach Kräften bemüht, dieser Angelegenheit eine fröhliche Seite zu verleihen, aber die meisten Menschen haben einen tiefsitzenden Widerwillen, der es ihnen unmöglich macht, mir zu glauben, so sehr ich auch versuche, sie davon zu überzeugen. Bitte, glaubt mir. Ich kann wirklich fröhlich sein. Ich kann angenehm sein. Amüsant. Achtsam. Andächtig. Und das sind nur die Eigenschaften mit dem Buchstaben „A“. Nur verlangt bitte nicht von mir, nett zu sein. Nett zu sein ist mir völlig fremd. Mache ich Euch Angst? Ich bitte Euch inständig – keine Sorge. Mann kann mir alles nachsagen, nur nicht, dass ich ungerecht bin. Was fehlt? Natürlich – eine Bekanntmachung, ein Beginn. Wo ist nur meine Höflichkeit geblieben? Ich möchte mich ganz förmlich vorstellen, aber das ist gar nicht nötig. Ihr werdet mich schon bald recht gut kennen; wie bald – das hängt von einer Reihe von Umständen ab. Nur soviel sei gesagt: Irgendwann einmal werde ich über Euch allen stehen, so freundlich, wie es mir möglich ist. Eure Seelen werden in meinen Armen liegen. Auf meiner Schulter wird eine Farbe ruhen. Sanft werde ich Euch davontragen. Ihr werdet vor mir liegen. Die Frage ist, welche Farbe die Welt angenommen haben wird, wenn ich Euch holen komme. Was wird der Himmel uns erzählen? Ihr wollt wissen, wovon ich mich ablenken muss? Was mich zum nächsten Punkt bringt. Es sind die übriggebliebenen Menschen. Die Überlebenden. Sie sind es, deren Anblick ich nicht ertrage, und in meinem Bemühen, sie nicht anzusehen, versage ich häufig. Ich konzentriere mich absichtlich auf die Farben, um die Überlebenden aus meinen Gedanken zu verbannen. Aber hin und wieder werde ich Zeuge, wie die Zurückbleibenden zwischen den Puzzleteilen der Erkenntnis, Überraschung und Verzweiflung zusammenbrechen. Sie haben zerstochene Herzen. Sie haben zerschlagene Lungen. Auszug aus meinem Tagebuch: Eine letzte Tatsache. Ich möchte Euch mitteilen, dass die alte Frau gestern gestorben ist. Wie die Seele ihres Papas, saß auch ihre Seele aufrecht da. Ihre letzten Visionen galten ihren Kindern, ihren Enkeln, ihrem Ehemann und der langen Liste aus Leben, die mit ihrem eigenen verwoben waren. Der Tod und das Buch des Lebens. Die alte Frau war verblüfft. Sie nahm das Buch ihres Lebens in die Hand und fragte: Ist das mein Buch? Ich nickte. Beklommen öffnete sie ihr Buch des Lebens und blätterte durch die Seiten. Ich kann es nicht glauben …. Obwohl der Text verblasst war, konnte sie ihre Worte noch lesen. Die Finger ihrer Seele berührten die Geschichte, die vor so langer Zeit geschrieben worden war. Ich konnte mich nur dieser Seele zuwenden und ihr die einzige Wahrheit sagen, die ich kenne. Und ich sagte es ihr und ich sage es Euch. Eine letzte Anmerkung Eures Erzählers: Ich bin von Menschen verfolgt.
Das Leben ist eine Reise
Mögen sich die Wege vor Deinen Füßen ebnen, mögest Du den Wind im Rücken haben. Möge warm die Sonne auch Dein Gesicht bescheinen, Regen sanft auf Deine Felder fallen. Und bis wir uns wiedersehen, möge Gott seine schützende Hand über Dir halten. ~ Irischer Reisesegen ~
Das Leben ist eine Reise
Fynn sagt, dass alle Menschen zwei verschiedene Arten von Fenstern haben: die Augenfenster, davon haben sie zwei, und das Herzfenster, davon hat jeder nur eins. Die Augenfenster sind da, um rauszugucken, und das Herzfenster ist da, um nach innen reinzugucken. Wenn man weint, sagt Fynn, dann ist das nicht nur wegen etwas Traurigem. Es ist auch dafür, dass man mal die Augenfenster putzen muss. Wenn sie dann sauber geworden sind von den Tränen, kann man besser durchgucken, und dann ist die Welt wieder viel heller als vorher. Manchmal gucke ich lieber durchs Herzfenster wie durch die Augenfenster. Weil, draußen kenne ich bald alles, was es zu sehen gibt.
Aber wenn ich durchs Herzfenster nach innen reingucke, da sehe ich immer Neues. Bei mir auch. Denn von innen, sagt Fynn, kennt sich niemand so gut, wie er seinen Garten kennt oder die Leute von gegenüber. Und das ist, weil das Herzfenster aus anderem Glas ist. Nach draußen, durch die Augenfenster, siehst du meistens klarer, findet Fynn. Aber ich glaube, ich sehe mit dem Herz besser.
Ein Blatt
Es weht der Wind ein Blatt vom Baum,
von vielen Blättern eines.
Das eine Blatt, man merkt es kaum,
denn eines ist ja keines.
Doch dieses eine Blatt allein,
war Teil von unserem Leben.
Darum wird dieses Blatt allein
uns immer wieder fehlen.

~ Rainer Maria Rilke ~
Was ist sterben?
Ein Schiff segelt hinaus und ich beobachte wie es am Horizont verschwindet. Jemand an meiner Seite sagt: "Es ist verschwunden." Verschwunden wohin? Verschwunden aus meinem Blickfeld - das ist alles. Das Schiff ist nach wie vor so groß wie es war als ich es gesehen habe. Dass es immer kleiner wird und es dann völlig aus meinen Augen verschwindet ist in mir, es hat mit dem Schiff nichts zu tun. Und gerade in dem Moment, wenn jemand neben mir sagt, es ist verschwunden, gibt es Andere, die es kommen sehen, und andere Stimmen, die freudig Aufschreien: "Da kommt es!" … Das ist sterben. ~ Charles Henry Brent


Die Perle
Eine Auster sprach zu ihrer Nachbarin:
"Ich trage großen Schmerz in mir. Schwer ist er und rund, und ich habe große Not."
Die andere Auster antwortete mit überheblicher Selbstzufriedenheit:
"Gelobt sei der Himmel und das Meer, denn ich habe keine Schmerzen. Es geht mir gut, innen und außen."
In diesem Augenblick kam ein Krebs vorbei und hörte die beiden Austern.
Daraufhin sagte er zu derjenigen, die innen und außen unversehrt war:
"Ja, dir geht es wohl gut; doch der Schmerz, den deine Nachbarin in sich trägt,
ist eine Perle von hinreißender Schönheit."
~ Khalil Gibran ~
Ein volles Gefäß
An dem Tag,
wenn der Tod an Deine Tür klopfen wird,
was wirst du ihm anbieten?
Ich werde meinem Gast
das volle Gefäß meines Lebens vorsetzen.
Ich werde ihn nicht mit leeren Händen gehen lassen.
~ Tagore ~
Erinnerung
Je schöner und voller die Erinnerung,
desto schwerer ist die Trennung.
Aber die Dankbarkeit verwandelt die Qual der Erinnerung in stille Freude.
Man trägt das vergangene Schöne nicht wie einen Stachel,
sondern wie ein kostbares Geschenk in sich.

~ Dietrich Bonhöffer ~
Ein volles Gefäß
Wenn ich wüsste, dass es das letzte Mal ist, dass ich Dich einschlafen sehe, würde ich Dich besser zudecken und zu Gott beten, er möge Deine Seele schützen. Wenn ich wüsste, dass es das letzte Mal ist, dass ich Dich zur Türe rausgehen sehe, würde ich Dich umarmen und küssen und Dich für einen weiteren Kuss zurückrufen. Wenn ich wüsste, dass es das letzte Mal ist, dass ich Deine Stimme höre, ich würde jede Geste und jedes Wort auf Video aufzeichnen, damit ich sie Tag für Tag wieder sehen könnte. Wenn ich wüsste, dass es das letzte Mal ist, dass ich einen Moment innehalten kann, um zu sagen 'Ich liebe Dich', anstatt davon auszugehen, dass Du weißt, dass ich Dich liebe. Wenn ich wüsste, dass es das letzte Mal ist, dass ich da sein kann, um den Tag mit Dir zu teilen, weil ich sicher bin, dass es noch manchen Tag geben wird, so dass ich diesen einen verstreichen lassen kann. Es gibt sicherlich immer ein 'Morgen', um ein 'Versehen/Irrtum' zu begehen und wir erhalten immer eine 2. Chance, um einfach alles in Ordnung zu bringen. Es wird immer einen anderen Tag geben, um zu sagen: 'Ich liebe Dich', und es gibt sicher eine weitere Chance, um zu sagen: 'Kann ich etwas für Dich tun?' Aber nur für den Fall, dass ich falsch liegen sollte und es bleibt nur der heutige Tag, möchte ich Dir sagen, wie sehr ich Dich mag. Und ich hoffe, dass wir nie vergessen: Das 'Morgen' ist niemandem versprochen, weder jung noch alt, und heute könnte die letzte Chance sein, die Du hast, um Deine Lieben fest zu halten. Also, wenn Du auf Morgen wartest, wieso tust Du's nicht heute? Falls das 'Morgen' niemals kommt, wirst Du es bestimmt bereuen, dass Du Dir keine Zeit genommen hast, für ein Lächeln, eine Umarmung oder einen Kuss und Du zu beschäftigt warst, um jemandem etwas zuzugestehen, was sich im Nachhinein als sein letzter Wunsch herausstellt. Halte Deine Lieben heute ganz fest und flüstere ihnen ins Ohr, sag' ihnen, wie sehr Du sie liebst, und dass Du sie immer lieben wirst. Nimm Dir die Zeit zu sagen 'Es tut mir leid', 'Bitte verzeih' mir', 'Danke' oder 'Ist in Ordnung'. Und wenn es kein 'Morgen' gibt, musst Du den heutigen Tag nicht bereuen. (Dieses Gedicht wurde von Dr. H. Solomon in Gedenken an die Opfer des 11. September 2001 geschrieben.)